Ein Jahr ForuM-Studie
Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Lippischen Landeskirche
Kreis Lippe. Ein Jahr nach der bundesweiten Veröffentlichung der viel beachteten Studie zu sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie, der ForuM-Studie, hat sich der Umgang mit sexualisierter Gewalt nicht nur in der EKD, sondern auch in der Lippischen Landeskirche grundlegend verändert.
Landessuperintendent Dietmar Arends: „Menschen haben in unserer Landeskirche großes Leid erfahren. Wir arbeiten dies auf und übernehmen Verantwortung. Mit umfangreicher Präventionsarbeit wollen wir verhindern, dass sexualisierte Gewalt in der Lippischen Landeskirche geschieht. Zudem wird sichergestellt, wenn es dennoch zu sexualisierter Gewalt oder zu Grenzverletzungen kommt, dass konsequent gehandelt wird.“
Anfang Januar und im August vergangenen Jahres hatte die Lippische Landeskirche mehrere Fälle sexualisierter Gewalt aus den 70er, 80er und 90er Jahren veröffentlicht. Diese waren über betroffene Personen, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie im Rahmen der Recherche für die Studie zu sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie (ForuM-Studie) bekannt geworden. Die Lippische Landeskirche hatte für die ForuM-Studie insgesamt acht Täter und Beschuldigte in Personalakten (von 1946 bis 1983) und Disziplinarakten (von 1983 bis 2021) identifiziert und gemeldet. Im Rahmen der Aufarbeitung wurden im vergangenen Jahr auch die Personalakten ab 1983 ausgewertet, weitere Beschuldigte wurden hierdurch aber nicht entdeckt.
Zahl der Beschuldigten/Täter heute
Dietmar Arends: „Uns ist in der Aufarbeitung deutlich geworden, dass, wenn von „Fällen“ gesprochen wird, meist die Zahl der Beschuldigten gemeint ist. Damit wird jedoch eine Täterperspektive eingenommen. Dabei dürfte die Zahl der Betroffenen deutlich höher sein, als die der Beschuldigten. Uns sind inzwischen 18 Beschuldigte und Täter bekannt, auf sechs von ihnen wurden wir nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie aufmerksam gemacht. In den Zahlen sind Grenzverletzungen ebenso erfasst wie sexualisierte Gewalt.“
Suspendierung und Verurteilung in den 1920er Jahren
Im Rahmen von Archivrecherchen ist die Landeskirche auf einen weiteren Täter gestoßen. Dieser war in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts „Kandidat“ (Vikar oder Pfarrer im Probedienst) in der Ev.-reformierten Kirchengemeinde in Talle. Es gab mehrere Betroffene sexualisierter Gewalt. Die damalige Kirchenleitung hat ihn vom Dienst suspendiert und aus der Liste der Kandidaten gestrichen. Im Zusammenhang mit dem Missbrauch gab es auch ein Gerichtsverfahren gegen ihn wegen des Versuchs der Anstiftung zur Falschaussage. Er wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm für fünf Jahre aberkannt.
Stand der Aufarbeitung
Eine interne und eine externe Meldestelle sind dauerhaft eingerichtet und die Landeskirche hat eine Stabsstelle Prävention sexualisierte Gewalt geschaffen. Die Landeskirche ist der unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommissionen Verbund-West beigetreten. Hier geht es unter anderem um die Einhaltung einheitlicher Standards der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt. An Anerkennungsleistungen sind (Stand 31.12.2024) im Bereich Kirche 30.500 Euro und im Bereich Diakonie 40.000 Euro gezahlt worden.
Das in breiter Basisbeteiligung erarbeitete Schutzkonzept für die Lippische Landeskirche wurde veröffentlicht. Inzwischen haben zwei Drittel aller Kirchengemeinden eigene Schutzkonzepte zur Genehmigung bei der Landeskirche vorgelegt. Die anderen werden bald folgen. Regelmäßig finden Schulungen zur Prävention für Ehren- und Hauptamtliche statt.
Ein mit externen Fachleuten besetztes Gremium, in dem auch Betroffene mitgearbeitet haben, hat der Landeskirche weitere Hinweise und Empfehlungen zur Aufarbeitung gegeben. Auf den Lippischen Landessynoden informiert Landessuperintendent Dietmar Arends regelmäßig über den Stand der Aufarbeitung. In diesem Rahmen waren auch betroffene Personen auf der Tagung der Synode im November vergangenen Jahres anwesend. Dietmar Arends: „Dafür sind wir sehr dankbar. Nur mit der Perspektive betroffener Personen ist eine angemessene Aufarbeitung möglich.“
Nächste Schritte
Am Samstag, 22. Februar, von 10 bis 15.30 Uhr veranstaltet die Stabsstelle einen Impulstag im Gemeindehaus St. Nicolai Lemgo. Der Tag richtet sich an Haupt- und Ehrenamtliche in den Kirchengemeinden, den evangelischen Kitas und Einrichtungen, aber auch an weitere Interessierte. Er bietet Gelegenheit, auf die ForuM-Studie und ihre Ergebnisse zu blicken: Was können evangelische Gemeinden und Einrichtungen tun, um sichere Orte zu bieten, an denen Menschen vor sexualisierter Gewalt geschützt sind? Für weitere Informationen oder Rückfragen zum Impulstag wenden Sie sich an die Stabsstelle Prävention sexualisierte Gewalt der Lippischen Landeskirche, Pfarrer Kai Mauritz, Tel. 05231/976-806 oder Johanna Ancutko 05231/976-774.
Weitere Infos, auch zu den Meldestellen: